Abitur News 2011

Abituransprache 2011 des Schulleiter Egon Tegge

Abiturrede 2011

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!

Zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen und sind zugleich außerordentlich stolz auf Sie alle. Wir freuen uns auch darüber, dass mit Ihrem Jahrgang endlich wieder so etwas wie Normalität in Hamburg einzieht, denn wir sind mit der Umstellung auf Gy8 fertig, ganz im Gegenteil zu den vielen anderen im Bundesgebiet. Die müssen sich in diesem Jahr durch die sogenannten Doppeljahrgänge quälen und nun leider zu Ihrem Leidwesen mit Ihnen sich um die knappen Studienplatzressourcen balgen, zumal weitere Neuregelungen zumindest den Männern unter Ihnen allen auch noch ein bis zwei weitere Wartesemester in Form von Zivildienst und Bundeswehr erspart haben.

Aber nachdem was man an Leistungen, nicht nur bei den letzten Abiturprüfungen, sondern auch bei vielen anderen schulischen Veranstaltungen, sei es im Theater oder in der Musik, beim Sport oder in den Naturwissenschaften, aber auch in den Kernfächern von Ihnen sehen oder lesen konnte, bin ich mir sicher, dass Sie sich künftig ebenfalls durchsetzen werden – bei dem einen oder anderen könnte allerdings der Einsatz oder wie man beim Rudern sagt, die Schlagzahl etwas erhöht werden, um auch außerhalb von Schule den gewünschten Erfolg zu haben.

Ich möchte aber diesen heutigen Moment auch dazu nutzen und mich – und ich denke, auch in Ihrem Namen – bei einigen hilfreichen Menschen der Schulgemeinschaft für die oft jahrelange Unterstützung bedanken, an die man beim Stichwort ‚Abitur geschafft’ nicht als erstes denkt, die aber alle zusammen wesentlich zu diesem Erfolg beigetragen haben und einen Teil des Besonderen unserer Schule ausmachen:

  •  Da ist zunächst die gesellschaftlich nicht mehr selbstverständliche Ehrenamtlichkeit, die es am Goethe-Gymnasium z.B. in Form all der Brötchenmütter und -väter gibt, die, wie wir neulich ausgerechnet haben, seit über 25 Jahren ehrenamtlich schon fast 5 Millionen Brötchenhälften für die Hungrigen gefertigt haben und ohne die das Lernen bestimmt auch manchen von Ihnen erheblich schwerer gefallen wäre. Großer Dank für diese beispielgebende Ehrenamtlichkeit an Frau Knöpfel und ihr gesamtes Team des Café Goethe!
  • Zur Seele der Schule gehören auch unsere Bürodamen, denen keine Ihrer Fragen zu blöd war, um sie auch ein xtes mal zu beantworten, aber die Ihnen auch manchmal auf die Füße getreten haben – z.B. den morgendlichen Wecker telefonisch rasseln ließen, bevor Sie größeren Ärger mit Lehrkräften oder behördlichen Bestimmungen bekamen. Und die bei Wehwehchen und Verletzungen mit Eisbeutel, Wärmflasche oder Pflaster tröstend zur Seite standen. Da eine von beiden ursprünglich ausgebildete Krankenschwester ist,  können bei uns auch ernsthaftere Fälle fachfraulich beurteilt oder verbunden werden, was für eine Schule nicht selbstverständlich ist. Großer Dank also an Frau Kühn und Frau Brüggen! Und gestatten Sie mir den Seitenhieb auf die deutsche Schulpolitik – eine Krankenschwester an der Schule zu haben, ist bei uns am Goethe eine glückliche Fügung, andernorts z.B. in Schweden ist eine solche Personalzuweisung eine selbstverständliche Grundausstattung einer jeden Schule – offenbar stellt die gesundheitliche Betreuung und Vorsorge der Kinder in diesen Gesellschaften einen höheren Wert dar, als bei uns. 
  • Viele von Ihnen bekamen auch Unterstützung bei Computerproblemen oder seit zwei Jahren auch bei der Recherche in unserer Bibliothek. Auch dieses ist an deutschen Schulen noch lange nicht Standard, dass man echte Fachleute für diese beiden Bereiche an den Schulen beschäftigt, die genau nicht als Lehrkräfte von Klasse zu Klasse hetzen und die – Sie kennen das bestimmt, gerade mal wieder keine Zeit ha-ben. Nein, wenn Schulen auf dem Weg in die viel beschworene Wissensgesellschaft sind, brauchen sie einen waschechten Bibliothekar und bei 184 Rechnern wie bei uns ist ein New-Media-Assistent unverzichtbar – großer Dank an Christoph Jürgens und Tobias Zeumer.
  • Pullover, Mütze oder Handschuhe liegengelassen,  den Fahrradschlüssel verdaddelt, die Heizung geht nicht, auf dem Klo ist eine Überschwemmung, für die Veranstaltung brauchen wir Stühle, Tische, ein Zelt, ein paar Löcher in der Wand, dieses aufgebaut, jenes weggeräumt und so weiter, und so weiter. All diese Wünsche, nach Möglichkeit sofort oder gestern zu erledigen, landen bei unserer Hausmeisterei, die sich obendrein nach Kräften bemüht, auch morgens im Winter die Zuwege schneefrei zu halten, weil mal wieder die von der Behörde beauftragte Firma erst mittags oder gar nicht kommt. Ohne Herrn und Frau Müller und Herrn Miete wären wir echt aufgeschmissen – Tausend Dank an unsere hausmeisterlichen guten Geister.
  • Und noch einen Bereich gibt es in dieser Form nur an unserer Schule und das gilt wohl fast bundesweit, wie man in der vorletzten Ausgabe der Wochenzeitung die ZEIT nachlesen konnte. Und damit möchte ich den Blick auf einen sehr sensiblen Bereich lenken, über den eigentlich nicht gern gesprochen wird, der aber von dem einen oder der anderen unter ihnen auch in Anspruch genommen wurde. Das Heranwachsen und Erwachsen Werden ist mit vielerlei Schwierigkeiten und Konflikten verbunden, manchmal weiß ein junger Mensch eben nicht, wer bin ich oder wenn ja, wie viele oder was soll der ganze Kram – für all diese Fragen, die häufig massiv das Lernen und einen möglichen Schulerfolg blockieren, gibt es leider an deutschen Schulen keine vertrauensvollen und vor allen Dingen qualifizierte Ansprechpartner. Nur am Goethe-Gymnasium haben wir und hatten Sie das seltene Glück, nicht nur zwei Beratungslehrerinnen, sondern darüber hinaus auch eine ausgebildete und erfahrene Psychotherapeutin zu haben, die in vielen Fällen zusammen mit den SchülerInnen Wege aus schwierigen Lebenslagen erarbeitet haben. Die Besonderheit unserer Schule wird hier auch durch eine kleine Zahl deutlich – in Niedersachen kommen auf einen Schulpsychologen, die irgendwo in weit von den Schulen entfernten Büros sitzen, 23 000 SchülerInnen, wir haben eine für 750 und das auch nur eine Treppe hoch. Großer Dank für ihre Arbeit an Frau Liebschner, Frau Görries und vor allen Dingen an Frau Rakers!

Insofern haben Sie an einer – allein schon aus dieser Perspektive betrachtet –  besonderen Schule Ihr Abitur gebaut. Aber es gibt auch noch eine zweite Betrachtungsweise, die Sie und diese Schule aus dem Mainstream herausheben. Und damit meine ich nicht die fast automatisch ablaufenden Assoziationen, die spätere Chefs, Professoren, Personaler oder Teilnehmer einer Auswahlkommission mit dem Schulnamen unserer Schule verbinden und Sie dann fast reflexhaft mit einem Elitegymnasium in Verbindung bringen. Der Name des größten deutschen Dichters bürgt eben gerade in Verbindung mit dem Wort Gymnasium für eine besondere Qualität der Absolventen, Goethe ist, wenn man so will, weltweit eine ganz besondere Bildungsmarke. Das funktioniert eben nach dem – bitte nicht ernst nehmen! Motto: Niki, Gucci, Goethi. Nehmen Sie diesen Effekt mit einem schmunzelnden Dankeschön einfach mit, allein schon deswegen, weil bei vielen so genannten  Elitegymnasien in Deutschland und anderswo nur allzu gern der finanzielle Wohlstand der Elternhäuser der SchülerInnen mit geistiger und sozialer Elite gleichgesetzt oder gar verwechselt wird. Es wird dort eben nicht unbedingt gefragt, mit welchem Kreativitätspotential, mit welchen Leistungen, mit welchen Erfahrungen oder mit welchem gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein die Absolventen die Schulen verlassen. Und vor allen Dingen nicht, wie modern und zukunftsorientiert die Profile oder gar wie weltoffen und multiethnisch die Zusammensetzung der Schülerschaft ist und wie fit sie mit den so gewonnenen Erfahrungen auch für eine globalisierte Welt ist. Im Gegenteil, man bleibt ja dort gern unter sich, grenzt sich nach unten gegen irgendwelche Aufsteiger ab, sorgt auch für die weniger Qualifizierten durch Beziehungen und Begünstigung und nennt das ganze eine auf Leistung basierende Elite. Selbstverständlich ist dort der Anteil von jungen Menschen mit Migrationshintergrund verschwindend gering, Armut und HartzIV gibt es auf solchen Schulen nicht – wer das nicht glaubt, kann es im Internet in einer Bürgerschaftsdrucksache zum Büchergeld mit genauen Schülerzahlen pro Schule nachlesen, dass es in unserer schönen und freien und ach so sozialen Hansestadt mehrere Gymnasien gibt, auf denen nicht ein einziges Kind Empfänger staatlicher Transferleistungen ist. Und die sind z. T. gar nicht soweit entfernt.

Ich will damit aber keinen Sozialneid schüren oder die Ungerechtigkeit der Welt beklagen. Sondern ich möchte Ihnen jetzt bei Ihrem Abitur mitgeben, das Sie trotz vielleicht fehlendem Porsche in der heimischen Doppelgarage ebenso stolz auf Ihre Leistung sein können, wie wir es als Lehrkräfte und Organisatoren Ihres Bildungsprozesses auf Sie sind.

Denn Sie haben auf einer Schule Abitur gemacht, deren Schülerschaft bunt gemischt in jeder Hinsicht ist, also ein Abbild unserer Gesellschaft, und damit so zusammengesetzt, wie die Bewohnerschaft im Jahr 2011 in Hamburg einfach ist. Und mit dieser Zusammensetzung haben Sie es alle gelernt, in Gemeinschaft zu leben, zu arbeiten und miteinander sich zu organisieren, ohne dass bei jedem die Euroscheine locker sitzen müssen. Sie haben den sozialen Blick nicht verlernt, dass die Mitschüler nebenan sich bestimmte Dinge eben nicht leisten können, er oder sie aber trotzdem dazugehört oder umgekehrt man sich auch nicht für die nicht angesagten Turnschuhe mit dem unpassenden Label schämen muss. Eine solche Sozialität ist für den künftigen Zusammenhalt einer Gesellschaft eine fundamentale Fähigkeit und wenn derartiges fehlt, stellt dies für die Zukunft unserer Gesellschaftsordnung die größte Gefahr dar, wenn – wie in der Geschichte vielfach belegt wird – Oberschichtzirkel und andere geschlossenen Gesellschaftskreise sich von der ‚restlichen’ Gesellschaft immer stärker abkapseln. Leider läuft diese Tendenz, wie im Abendblatt jüngst berichtet wurde, gerade in HH und auch in ganz Deutschland ab und wird von namhaften Soziologen als ernsthaftes Problem angesehen – hier am Goethe-Gymnasium ist das erfreulicherweise auch dank Ihnen allen nicht so.

Mischung heißt auch, dass für mich eine aus verschiedenen Kulturen und Ethnien gemischte Schülerschaft eher ein Garant für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes darstellt, denn in einer globalisierten Welt und einem einigen Europa bedarf es überall junger Menschen, die es von Kleinauf an gewohnt sind, mit Andersartigkeit und Vielfältigkeit im Gegenüber umzugehen. Oder die mehrere Sprache sprechen und in mehreren Kulturen zu Hause sind und die jetzt mit dem bei uns erworbenen Abitur genau in solche Schnittstellen gehen wollen, wie beispielsweise jemand von Ihnen, die an einer deutsch-polnischen Universität zweisprachig Jura studieren will, oder der sich betriebswirtschaftlich ausbilden lässt, um später in deutsch-türkischen Wirtschaftsunternehmen seine Kompetenzen einzubringen.

Wenn Sie insgesamt in diesem Geist oder für solche Perspektiven hier am Goethe-Gymnasium ausgebildet wurden, stellen Sie für mich eine ungleich zukunftsorientiertere Elite dar, als die, die landläufig so genannt wird, deren Traditionsbewusstsein sich aber in manchen Fällen darauf reduzieren lässt, dass man darauf wartet, in einigen Jahren den väterlichen Chefsessel in einem Immobilienunternehmen oder irgendwelchen Praxen einnehmen zu können.

Drum, nehmen sie die Rolle als neue Elite an, krempeln Sie sich die Ärmel auf, entwickeln sie neue Ideen, zeigen sie neue Wege auf, engagieren Sie sich und nehmen Sie Stellung in allen Zukunftsfragen, ob im Umwelt- oder Schuldenbereich oder anderswo, wo ein einfaches Weiterso nicht ziel- und zukunftsweisend ist. Und die Zeiten sind gut für Sie, der demographische Wandel gibt Ihnen vielfältige Möglichkeiten, es scheiden mehr Ältere aus dem Berufsleben aus, als junge Leute nachwachsen. Man wird in Wirtschaft und Verwaltung auf Sie warten, es zeichnet sich jetzt schon in manchen Bereichen ein Mangel an Topqualifizierten an.

Nehmen Sie diese Aufgabe an in diesem Lande. Einen Weg in eine friedliche, soziale und moderne Welt gibt es nur mit vielen innovationsbereiten und offenen jungen Menschen.

Take Your Chance!